Marktversagen | Wohlfahrt und Pareto


In einem Einführungskurs in die mikroökonomische Analyse des Wirtschaftsgeschehens - wie zum Beispiel im Modul Theorie der Marktwirtschaft - haben Sie gelernt, welche Annahmen Volkswirte treffen, um das ökonomische Handeln eines Haushaltes und einer Firma idealtypisch zu beschreiben, welche Konsequenzen sich daraus für deren Angebots- und Nachfrageentscheidungen ergeben, und schließlich, wie Märkte die Wirtschaftspläne aller einzelnen Wirtschaftssubjekte koordinieren. Dabei haben Sie sicher festgestellt, dass unterschiedliche Marktformen zu verschiedenen Ergebnissen (also Gleichgewichten) hinsichtlich Preis und Menge führen, das Knappheitsproblem also durchaus unterschiedlich bewältigen.

Gar nicht oder allenfalls ansatzweise haben Sie sich in einem mikroökonomischen Grundkurs mit der Frage befasst (befassen müssen),
 

  • wie gut Märkte das Knappheitsproblem lösen können,
     
  • ob Märkte diesbezüglich Funktionsdefizite aufweisen können,
     
  • ob es ggf. andere Koordinationsmechanismen außer einer freien Marktwirtschaft gibt, welche die in einer Volkswirtschaft erstellten Produktionsfaktoren und Güter besser oder gar optimal auf die beteiligten Akteure verteilen können.


Damit ist offensichtlich ein normatives Problem benannt: Wie beurteilen wir die Güte einer marktwirtschaftlichen Lösung des Knappheitsproblems? Ganz allgemein und vorerst völlig unspezifisch formuliert, ist die Wohlfahrt das traditionelle Beurteilungsmaß in den Wirtschaftswissenschaften. Damit befasst sich der erste Abschnitt der VWL-Fibel Marktversagen.

Hat man ein - wie auch immer ausgestaltetes - Kriterium wie Wohlfahrt zur Hand, lassen sich Attribute wie gut, besser und optimal auf die Beurteilung konkreter Marktergebnisse anwenden. Referenzmodell ist dabei stets ein vollständiges Konkurrenzgleichgewicht, in dem sich wegen der Annahme sehr strikter Voraussetzungen (Polypol, keine externen Effekte, reine private Güter, vollständige / vollkommene Information etc.) - wie die Ökonomie der Wohlfahrt (Wohlfahrtsökonomie) ergeben hat - stets ein Wohlfahrt optimales (meist: Pareto Optimum) Ergebnis einstellt, ohne dass eine zentrale Planung oder staatliche Eingriffe nötig wären.

Sind eine oder mehrere dieser idealtypischen Annahmen eines allgemeinen Konkurrenzgleichgewichtes verletzt, dann werden die Ziele der Wohlfahrt verfehlt, der Marktmechanismus versagt und staatliche Eingriffe oder marktliche Lösungsinstrumente sind geboten. Eine wesentliche Aufgabe der modernen Finanzwissenschaft (Lehre von der ökonomischen Tätigkeit des Staates) ist die Begründung staatlicher Tätigkeit zur Verwirklichung von Allokationszielen (Pareto optimale Verteilung von Produktionsfaktoren, Pareto optimale Verteilung von Gütern) bei Marktversagen. Marktversagen kann jedoch auch durch die Marktbeteiligten selbst (also ohne staatliche Eingriffe) geheilt werden.

Die auf dem mikroökonomischen Kenntnisstand (Haushaltstheorie, Theorie der Firma, Markt- bzw. Preistheorie) basierende Ökonomie der Wohlfahrt ist eine Theorie des gesellschaftlichen Wohlstands (Wohlfahrt, Nutzen). Sie analysiert die Bestimmungsgründe von Wohlfahrt, leitet Bedingungen ab, die konstitutiv für ein Optimum (Wohlfahrtsmaximum, pareto Optimum) sind und stellt Beurteilungsmaßstäbe bereit, mit deren Hilfe
 

  • Wirtschaftsordnungen,
     
  • ökonomische Zustände und
     
  • wirtschaftspolitische Maßnahmen


hinsichtlich ihrer Wohlfahrtswirkung bewertet und miteinander verglichen werden können. An der Frage, wie der unstrittige Zusammenhang zwischen individueller und gesellschaftlicher Wohlfahrt berücksichtigt werden soll, scheiden sich die Geister:

Die ältere Wohlfahrtsökonomik behauptete die kardinale Messbarkeit des individuellen Nutzens und damit auch eine interpersonelle Nutzenvergleichbarkeit, so dass eine gesellschaftliche Funktion der Wohlfahrt in Abhängigkeit von den individuellen, in Geldeinheiten gemessenen Nutzen formuliert werden könne. Das Konzept der Konsumenten- und Produzentenrente als maß für Wohlfahrt, das Sie schon aus dem Kurs Theorie der Marktwirtschaft kennen, basiert auf dieser Sichtweise.

Nach der neueren Ökonomie der Wohlfahrt, hier vor allem dem Ansatz von Pareto, muss die Möglichkeit kardinaler Nutzenmessbarkeit abgelehnt werden, da der Betrag von Nutzenänderungen auf individueller Ebene nicht angegeben werden könne, weswegen sich interpersonelle Nutzenvergleiche verbieten. Nach Pareto ist lediglich einen ordinaler Nutzenmaßstab für möglich. Bei der Beurteilung von Wohlfahrtsdifferenzen ist in der neueren Wohlfahrtsökonomik das Pareto Kriterium zentral:

Nach dem Pareto Kriterium kann eine Steigerung der Wohlfahrt nur konstatiert werden, wenn mindestens ein Wirtschaftssubjekt eine individuelle Nutzenerhöhung erfährt und kein anderes eine Nutzenminderung zu verzeichnen hat. Nach diesem Pareto Kriterium ist ein gesellschaftlicher Zustand dann wohlfahrtsmaximal, man sagt: Pareto optimal, wenn es - etwa durch Umverteilungsmaßnahmen - nicht gelingen kann, den Nutzen eines Individuums zu erhöhen, ohne den Nutzen aller anderen mindestens konstant zu halten.

Ein allgemeines Konkurrenzgleichgewicht führt unabhängig von der Art der Nutzenmessung stets zu einem Pareto Optimum. Grund ist der funktionierende Preismechanismus in dieser von idealen Annahmen geprägten Modellwelt. Bei dezentraler Güterverteilung lenkt der von keinem Akteur beeinflussbare Marktpreis jede einzelne Gütereinheit genau dorthin, wo sie ihren größten Nutzen stiftet. Der Preismechanismus sorgt auf Seiten der Anbieter zudem dafür, dass die optimalen Mengen von jedem Gut produziert werden.

Sobald jedoch wesentliche, die ökonomische Realität stark einschränkende Annahmen zum Konkurrenzgleichgewicht aufgehoben werden, kann der Preismechanismus in dem Sinne versagen, dass im Gleichgewicht das Pareto Optimum bzw. ein Maximum der Wohlfahrt nicht mehr realisiert werden können. Die verschiedenen Szenarien für ein solches Marktversagen, das ggf. staatliches Eingreifen begründet, werden danach unterteilt, welche der Idealannahmen in einem Konkurrenzgleichgewicht verletzt sind:
 

{Auszug aus der Einleitung der VWL-Fibel Marktversagen - Ihre Lernhilfe zur Prüfungsvorbereitung an der Fernuniversität Hagen!]
 

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